Für den 2. November 2013 hatte sich der Jugendaktivkreis von Köln-Ost und -West etwas ganz besonderes ausgedacht: einen Entschlafenengottesdienstvorbereitungssamstag
Es wurden verschiedene Stationen an Gedenkstätten angeboten, die man über den Tag verteilt besuchen konnte. Entweder weil sie einen besonders interessierten oder weil man zu den Personen, an die dort erinnert wird, eine besondere Verbindung hat. Ich hatte mir für diesen Tag viel vorgenommen und wollte an jeder Station dabei sein. Außer bei den jeweils zwei Parallelveranstaltungen sollte das auch klappen.
Weil ich aber nichts dem Zufall überlassen wollte, hatte ich vorher über eine Stunde lang an einem eigenen Programm gebastelt und mir Bahnverbindungen rausgesucht, mit denen ich mein nächstes Ziel erreichen konnte. Wie sich später herausstellte, war meine Mühe theoretisch umsonst, da zu Beginn des Tages ein dreiseitiger Plan mit Bahnverbindungen verteilt wurde. Trotzdem kam meiner über den Tag verteilt wesentlich öfter zum Einsatz. Meine einzige Sorge war schließlich nur, ich könnte mich irgendwie verlaufen oder verfahren. Aber diese Sorge sollte sich auch bald in Luft auflösen!
Einstimmung in unserer Kirche in Dellbrück
Der Tag begann mit einer kurzen Einstimmung in Dellbrück. Dort wurde der Ablauf des Tages erklärt und die Idee, die dahinter steckte, noch einmal beleuchtet: Es gibt viele Seelen, an die man so gar nicht denkt, und die auf ihre Erlösung warten. Der Tag sollte einem bewusst machen, wie viele Menschen in die Ewigkeit ziehen, und eine Gelegenheit bieten, bestimmter Gruppen zu gedenken. Nach einem intensiven Gebet konnte sich jeder eine Snack-Box fertig machen und zur ersten Station begeben.
Die Pest und Eliasprozession an der St. Mariä-Himmelfahrt Kirche
Die erste Station war die St. Mariä-Himmelfahrt Kirche in Köln-Holweide. Von hier findet seit ca. 345 Jahren - immer im Sommer - die Eliasprozession statt. Hintergrund hierfür ist die zwischen dem 14. und 19. Jahrhundert immer wieder aufgetretene Pest. Durch diese Krankheit kamen etwa 25 Millionen Menschen ums Leben. Das bedeutet nach heutiger Rechnung, dass jeder Vierte daran starb!
Menschen, die sich ansteckten, bekamen schwarze Eiterpickel, die aufplatzten und den Körper mit Blut überströmten. Daher wurde die Seuche auch oft als "Schwarzer Tod“ bezeichnet. Aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr wurden sogenannte Pestknechte ausgewählt, die die Menschen dazu aufforderten: "Bringt die Toten heraus!“
In Köln brach die Pest unter anderem im Jahr 1666 aus. Damals lebten in den vier Ortsteilen des heutigen Holweide etwa 200 Menschen, von denen nur Sieben überlebten! Diese begannen mit der noch heute jährlich stattfindenden Eliasprozession, um einerseits der Opfer zu gedenken und andererseits Gott ihre Dankbarkeit entgegenzubringen.
Deportation von Sinti, Roma und Juden am Bahnhof "Deutz-Tief"
Die Gedenktafel, die für die nächste Station als Treffpunkt diente, wurde erst 1990 eingeweiht. Der Bahnhof Deutz (ehemals Deutz-Tief), 1913 erbaut, wurde ab 1941 von den Nationalsozialisten für die Deportation von Sinti, Roma und Juden genutzt. Das Messegelände direkt gegenüber, von Konrad Adenauer eingeweiht, diente als Gefangenenlager, in dem Konrad Adenauer selbst zwei Tage gefangen gehalten wurde.
1941 und 1942 wurden ca. 1.500 Sinti und Roma in Konzentrationslager deportiert. Schon allein im ersten Zug am 22. Oktober 1941 befanden sich etwa 1.000 Menschen! Auch etliche Juden wurden zwischen 1941 und 1944 von hier aus in die Konzentrationslager gebracht. Und diese Zahl umfasst "nur“ die Juden aus Köln und Umgebung. Insgesamt geht man von über 11.000 Juden aus, die über diese Treppe in den Tod gingen!
Im Jahr 1993 wurde zusätzlich zu der im Jahr 1990 eingeweihten Gedenktafel ein Gedenkstein errichtet. Unter dem Schriftzug "Nie wieder“ vergrub man die Skulptur eines Kopfes mit einem Hakenkreuz darauf. Sie soll symbolisieren, dass nationalsozialistisches Gedankengut für immer begraben sein soll.
Zum Schluss wurde von jedem noch ein Stein auf die Tafel gelegt. Dies entspricht einem jüdischen Brauch, in dem Steine als Zeichen des Gedenkens auf Gräbern abgelegt werden.
Wenn man bedenkt, wie oft man gedankenlos am Deutzer Bahnhof vorbeikommt und sich verdeutlicht, was einmal dort geschehen ist, wird einem ganz anders.
Totengedenkfeier auf dem Westfriedhof
Die nächste Station ist zwar nicht von der Jugend organisiert worden, war aber ein ganz besonderer Programmpunkt. Geschwister aus der Gemeinde Köln-Mitte boten hier die Möglichkeit, sich unter dem Motto "Wachet auf ruft uns die Stimme“ mit Lesungen sowie besonderen Wort- und Musikbeiträgen auf den Entschlafenengottesdienst vorzubereiten.
Unter anderem wurden Brüder und Schwestern namentlich aufgezählt, die im Jahr 2013 aus der Gemeinde in die Ewigkeit gezogen sind. Auch wurden besondere Fürbitten gesprochen, für Kriegsopfer, Unfallopfer und einige andere Personengruppen, die ihr Leben lassen mussten.
"Kaltes Eck"
An einem unscheinbaren Ort am Rheinufer in der Nähe des Heumarkts hat Tom Fecht, ein bekannter Künstler, gemeinsam mit der Aids Hilfe Köln einen Ort für Aids-Opfer geschaffen. Auf einem Quadrat von ca. 3x3 Metern mit 298 Steinen wird hier der Menschen gedacht, die die Krankheit nicht überlebten. Ein Drittel der Steine ist bereits mit Namen versehen, Frauen und Männernamen und auch bekannte Persönlichkeiten, wie zum Beispiel Keith Haring, wurden hier verewigt.
Noch heute besteht die Möglichkeit, für einen an Aids verstorbenen Menschen einen Stein zu kaufen und vom Künstler persönlich gravieren zu lassen. Jedes Jahr beim Cristopher-Street-Day, einem besonderen Fest für Homosexuelle, werden dann die leeren Steine gegen Steine mit Namen ausgetauscht.
Erst 1981 wurde Aids als eigenes Krankheitsbild erkannt. Insgesamt gibt es ca. 33 Millionen an HIV infizierte Menschen weltweit! Allein in Deutschland sind es pro Jahr 2.500 bis 3.000 neu Infizierte und ca. 500, die ihrer Krankheit erliegen. In Köln gibt es jeden 2. Tag einen neuen Menschen, dessen HIV-Test positiv ausfällt.
HIV-Infizierte werden nach wie vor oft von der Gesellschaft isoliert und sozial stigmatisiert. Besonders in der Anfangszeit, als die Krankheit vor allem unter Homosexuellen auftrat, wurde sie häufig als "Schwulenseuche" und Strafe Gottes bezeichnet. Dies verdeutlicht beispielsweise der Film "Philadelpia", aus dem folgendes Zitat als Abschluss dieser Station diente:
"Diskriminierung ist der gesellschaftliche Tod, der dem physischen Tod voraus geht.“
Das Attentat in Volkhoven
Mein persönlicher "Höhepunkt" an diesem Tag war das Erleben an dem Gebäude der ehemaligen Volksschule in Volkhoven. Dort hatte am 11. Juni 1964 ein Amoklauf stattgefunden, dem acht Kinder und zwei Lehrerinnen zum Opfer gefallen sind.
Zwischen der Gedenktafel, die erst vor wenigen Jahren errichtet worden ist, und dem Schultor, an dem das Unglück seinen Anfang fand, wurde uns die Chronologie des Attentats auf sehr emotionale Art und Weise näher gebracht. Auch die Gefühle des Täters kamen dabei sehr gut rüber, indem man seine vermutliche Sicht auf die Tat darstellte. Zu wissen, dass dort, wo ich stehe, einmal ein Mann den Weg in die Schule fand, der sich an unschuldigen Kindern und Lehrerinnen rächte, war ein sehr heftiger Moment. Man mag sich nicht vorstellen, was diese Menschen dort durchmachen mussten, was die Eltern zu Hause für Angst um ihre Kinder hatten und wie man das Ganze überhaupt einmal verkraften soll!
Es stellte sich auch heraus, dass eine Zeitzeugin vor Ort war. Ihr Bruder ging damals auf die Schule. Und genau am 11. Juni - dem Tag des Attentats - wurde der Junge vom Rektor mit einem Sonderauftrag in die Stadt geschickt um Schulbücher zu besorgen. Allein deswegen wurde er von diesem schrecklichen Erlebnis verschont.
Zum Gedenken legten wir Rosen neben das Grablicht unter die Gedenktafel.
Erst an diesem Abend stellte sich übrigens heraus, dass einer der Schulpavillons seinerzeit auch regelmäßig für Gottesdienste der NAK genutzt wurde.
Vortrag über die Entwicklung des Entschlafenen-Wesens in der NAK
Am Abend gegen 19 Uhr fand schließlich die letzte Veranstaltung des Abends statt. Hirte Krempf aus der Gemeinde Köln-Mitte erklärte in seiner Präsentation die Entwicklung "Vom Totengedenken zur Sakramentenspendung der Entschlafenen".
Der Vortrag war sehr interessant, da man auch andere Glaubenskulturen einmal betrachten konnte und die Unterschiede verdeutlicht bekam. Auch die Entwicklung des Verständnisses der Bereiche - vom Gefängnis im Jenseits zu den verschiedenen Bereichen mit ihren Wohnungen im Haus des Vaters - war mir vorher noch nicht so klar.
Das Gedenken an Rockstars
Unter dem Motto "Musik ist Geschmacksache – Fürbitte nicht!“ wurde in einer Präsentation in Bild und Songs verschiedener Rockstars gedacht. Ihre Musik ist nicht jedermanns Geschmack, aber man sollte nicht vergessen, dass dahinter oft ein bereits verstorbener Mensch steckt, der unserer Gebete bedarf. Fürbitte sollte daher nicht vom Musikgeschmack abhängig gemacht werden. Der Musikgeschmack diente hier als Beispiel für viele Arten von Vorbehalten, die uns von einem ernst gemeinten Gedenken abhalten könnten.
Abgeschlossen hat die Präsentation das Lied "Heaven for everyone" von Queen. In dem Text geht es darum, dass der Himmel für jeden sein könnte, die Welt frei sein sollte und wir die Liebe unseren Töchtern und Söhnen weitergeben sollen. Menschen nehmen sich ihr Leben, zerstören sich selbst, beschädigen und verletzen aber auch Andere, wo doch diese Welt der Himmel für jeden sein könnte.
Im Anschluss an die Veranstaltung in Köln-Mitte gab es noch einen "Gute-Nacht-Snack“ und die Möglichkeit, sich in den "Raum der Stille“ zu begeben um den Tag noch einmal Revue passieren zu lassen und im Stillen noch einmal zu gedenken und zu beten.
Neben den oben beschriebenen Stationen gab es noch zwei parallele Veranstaltungen, bei denen einerseits an die Heilige Ursula und die 11.000 Jungfrauen und andererseits an die Edelweißpiraten in Köln gedacht wurde. Leider konnte ich an diesen nicht teilnehmen, einen Eindruck verschaffen aber die Bilder in der Galerie. Ich hoffe sehr, dass ein solcher Tag noch einmal angeboten wird.
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